Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPLS) ist mit 17 % aller vestibulären Diagnosen die häufigste Erkrankung des Gleichgewichtsorgans (Strupp et al., 2013). Es sollte auch betont werden, dass diese 17 % ein Wert eines speziellen Schwindelzentrums sind, die eine lange Warteliste haben und daher eher komplexere Fälle sehen. Da BPLS nicht als komplexer Fall gilt, werden die Diagnosewerte für BPLS von Schwindelzentren etwas niedriger sein. Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel kommt sehr häufig vor und ist wahrscheinlich der häufigste Grund, weswegen Patienten mit akutem Schwindel den Arzt aufsuchen. Die kumulative Inzidenz liegt bei fast 10 % im Alter von 80 Jahren (von Brevern et al., 2007):
Entnommen aus von Brevern et al., 2007
Wie man dem Diagramm entnehmen kann, kommt der Lagerungsschwindel bei jungen Menschen (1-30 Jahre alt) sehr selten bis gar nicht vor. Ab einem Lebensalter von 30 beginnt die Inzidenz zu steigen und kommt tatsächlich bei 10% der 80-Jährigen vor!
Kurz zur Anatomie des Gleichgewichtsorgans: Das Gleichgewichtsorgan besteht aus 3 Bogengängen und zwei Otolithenorganen (Utriculus und Sacculus). In der Illustration wird in das große Otolithenorgan, den Utriculus, 'reingezoomt'. Wie Sie der Illustration entnehmen können, liegen auf der Otolithenmembran schwere Kalziumkarbonatkristalle ("Otokonien"):
Eine allgemein akzeptierte Theorie bei BPLS ist, dass sich diese Otokonien - die normalerweise in einer gallertartigen Schicht im Utrikel eingebettet sind - lösen und in die Bogengänge fallen, wo sie eigentlich nicht hingehören. Die Flüssigkeit in den Bogengängen reagiert normalerweise nicht auf die Schwerkraft. Die Kristalle bewegen sich jedoch mit der Schwerkraft, wodurch sich die Flüssigkeit in Bewegung bewegt, obwohl sie normalerweise stillstehen würde. Wenn sich die Flüssigkeit bewegt, werden die Nervenenden im Kanal erregt und melden dem Gehirn, dass sich der Kopf bewegt, obwohl dies nicht der Fall ist (Woodhouse, 2015).
Herdman & Hoder (2014) führen die Ursachen von BPLS wie folgt auf:
Entnommen aus Herdman & Hoder, 2014
Außerdem schreiben die Autoren, dass das Alter des Patienten beim idiopathischen BPLS ein wichtiger Faktor sein kann:
Entnommen aus Herdman & Hoder, 2014
In der 1. Spalte werden die Altersgruppen wiedergegeben, in der 2. Spalte die Anzahl aller Patienten mit Schwindel (die sich in dieser Schwindelambulant vorgestellt haben), in der 3. Spalte die Anzahl der Patienten mit BPLS und in der 4. Spalte der prozentuale Anteil an BPLS-Patienten unter den 'Schwindel-Patienten'. Und auch diese Tabelle bestätigt, dass der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel bei jungen Menschen kaum vorkommt, aber die Prävalenz unter 'Schwindel-Patienten' steigt deutlich mit dem Alter ab dem 30. Lebensjahr an. Unter den 30-Jährigen hatten 12,5% der 'Schwindel-Patienten' einen BPLS, dieser Wert lag bei den 50-Jährigen bei 22% und bei den 60-Jährigen sogar bei 25% !
Hain (2020a) schreibt auch, dass sich die Otokonien verlagern können, wenn der Utriculus durch eine Kopfverletzung / ein Trauma (z. B. nach einem Schleudertrauma oder einer Innenohroperation), eine Infektion (Neuritis Vestibularis) oder eine andere Erkrankung des Innenohrs (z.B. Morbus Menière) geschädigt wird oder aufgrund des hohen Alters degeneriert. Der Autor erklärt auch, dass die häufigste Ursache für idiopathischen BPLS eine Degeneration des Innenohrs ist.
Strupp et al. (2020) weisen auf einen Zusammenhang mit dem Alter, früheren Stürzen, verminderter körperlicher Aktivität und Migräne hin. Woodhouse (2015) erwähnt einen Zusammenhang mit Trauma, Migräne, Innenohrentzündung / -erkrankung, Diabetes, Osteoporose und Intubation (vermutlich aufgrund längerer Bettlägerigkeit).
Das Alter wurde also von allen Autoren erwähnt, und einige unserer Referenzen sprechen sogar von der häufigsten Ursache. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass mit dem Alter nicht Menschen über 80 gemeint sind. Die obige Tabelle von Herdman & Hoder (2014) zeigt, dass es bereits eine deutliche Prävalenz ab einem Alter von 30 Jahren gibt!
Was ist keine Ursache für benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel?
Da ich im deutschsprachigem Raum als 'Experte' bekannt bin und wir einen erfolgreichen YouTube-Kanal haben, legen mir viele Patienten weitere mögliche Ursachen nahe, wovon sie sehr überzeugt sind. Gerade das YouTube-Publikum hat sehr kreative Hypothesen:
Meine Antwort dazu: "NEIN"!
Also BPLS wird nicht verursacht durch:
Ich weiß, wenn einem dieser sehr unangenehme Lagerungsschwindel trifft, will man unbedingt die Ursache rausbekommen, damit man präventiv vorgehen kann. Die Angst und starke Selbstbeobachtung bei akutem Schwindel führt dazu, dass man die wildesten Hypothesen aufstellt. Wenn man am Tag davor auf dem Spielplatz mit den Enkelkindern war, dann war es reiner Zufall. Deswegen sollten sie nicht zukünftig den Spielplatz meiden, das wäre absurd. Andere Menschen waren ein Tag davor im Kino, sollten sie denken, dass der laute Schall im Kino die Steine gelöst hat? Sollte man also auch das Kino meiden? Es ist einfach idiopathisch / entsteht am ehesten durch Alterungsprozesse, dass sollten sie akzeptieren, anstatt harte Lebensmittel, elektrische Zahnbürsten, Motorrad fahren und andere 'Vibrationen' oder Situationen zu vermeiden! Koexistenz bedeutet nicht automatisch Korrelation! Das ist die allererste Regel, die man in der Wissenschaft lernt!
Die Rezidivrate (Rezidiv=erneutes Auftreten) von BPLS ist leider sehr hoch. Berichten zufolge liegt die Rezidivrate bei 15 % innerhalb des gleichen Jahres und bei Verlaufsbeobachtung von 40 Monaten nach der Behandlung bei 50 % (Nunez et al., 2000). In einer anderen Studie betrug die Rezidivrate ebenfalls 50 % bei einer durchschnittlichen Verlaufsbeobachtung von 10 Jahren, und die meisten Rezidive (80 %) traten innerhalb des ersten Jahres nach der Behandlung auf (Brandt et al., 2006).
Nach einer erfolgreichen Behandlung fragen die Patienten immer, ob Lagerungsschwindel wieder vorkommen kann. Meine Antwort lautet immer: Wenn Sie großes Glück haben, wird es nicht wieder vorkommen. Aber wenn wir realistisch sind, werden wir uns wahrscheinlich innerhalb der nächsten 5 Jahre wiedersehen, und wenn Sie sehr viel Pech haben, sehen wir uns vielleicht schon in diesem Jahr wieder. Aber, so frustrierend die hohe Rezidivrate auch ist, der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel wird in der Regel (90% der Fälle) mit nur einer Sitzung behoben (dazu später mehr). Dass heißt, selbst wenn es wieder auftritt, bekommen wir es auch wieder schnell weg!
Spontane Remission bedeutet, dass der BPLS ohne Behandlung wieder verschwindet. Es wird berichtet, dass die durchschnittliche Anzahl von Tagen vom Auftreten bis zur Remission von BPLS im hinteren Bogengang 39 Tage betrug und im horizontalen Bogengang 16 Tage (Imai et al., 2005).
Es gibt immer wieder Patienten, die behaupten, sie hätten seit 2-3 Jahren ständig BPLS. Das ist sehr unwahrscheinlich, diese Menschen hatten wahrscheinlich 40-50 Tage lang einen BPLS, dann eine spontane Remission und ein Rezidiv. Wenn sich dies im Laufe eines Jahres mehrmals wiederholt, ist es sehr leicht, dass jemand glaubt, er/sie habe ständig BPLS.
Die spontane Remission führt auch dazu, dass jemand trotz Falschdiagnose und Falschbehandlung gesund wird und dann eine falsche Assoziation hat. Patienten mit BPLS haben sehr oft die Falschdiagnose: "Schwindel von der Halswirbelsäule", da der Schwindel bei Kopfbewegungen auftritt (siehe unten). Diese Patienten werden dann wöchentlich am Nacken behandelt und dies über mehrere Wochen. Irgendwann tritt eine spontane Remission auf und die Patienten denken, es sei wirklich die Halswirbelsäule gewesen und die Massage / Mobilisation des Nackens hätte den Schwindel behoben.
Die kürzeste Zusammenfassung, die wirklich alle BPLS-Symptome abdeckt, ist wahrscheinlich diese (Strupp et al., 2013): "Das Hauptsymptom sind Schwindelanfälle, die mehrere Sekunden dauern und teilweise sehr stark sind, und durch Veränderungen der Position des Kopfes oder des Körpers relativ zur Schwerkraft ausgelöst werden (Drehen oder Aufsetzen im Bett, Liegen oder Bücken)."
In meinen Weiterbildungen fasse ich die Symptome von BPLS als "akuter Schwindel mit den folgenden 5 Bewegungen" zusammen:
Während der Weiterbildung müssen meine Kursteilnehmer immer wieder, diese 5 Bewegungen wiederholen, damit sie sich diese gut einprägen.
Eine wissenschaftliche Umfrage ergab auch, dass folgende Kopfbewegungen den Schwindel auslösen (von Brevern et al., 2007):
Entnommen aus von Brevern et al., 2007
Aus der Tabelle können Sie entnehmen, dass 86% der Patienten einen Drehschwindel hatten (dazu später mehr) und ungefähr 50% durch den Schwindel geweckt wurden. Genauso hatten 50% während des akuten BPLS eine Gangunsicherheit.
Aber weswegen ich eigentlich diese Tabelle eingefügt habe: 85% der Patienten hatten Schwindel, als sie sich im Bett gedreht haben, 74% als sie sich hingelegt haben und 40-60% beim Aufsetzen vom Liegen, beim nach vorne beugen und Überstreckung des Kopfes ("Kopf in den Nacken legen").
Genau wie es Patienten mit BPLS gibt, die eine falsche Diagnose haben (z.B. "Schwindel von der Halswirbelsäule), sehe ich auch leider Patienten, die die Diagnose 'benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel' haben, obwohl sie eigentlich keinen BPLS haben. Das heißt, wenn mir ein Patient schreibt "Ich würde gerne einen Termin wegen Lagerungsschwindel vereinbaren" ist meine Frage immer "Haben Sie Schwindel beim Hinlegen, Drehen im Liegen, Aufsetzen vom Liegen und Kopfbewegungen weit nach vorne und weit nach hinten?".
Die Diagnose des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels ist wirklich sehr einfach! Und obwohl die Diagnostik sehr einfach ist, wollen sie gar nicht wissen, bei wie vielen Patienten mit BPLS ein MRT der Halswirbelsäule oder des Gehirn gemacht wird. So ein MRT kostet ~1000€ und dies zeigt wie ineffizient die Vorgaben der gesetzlichen Krankenkassen sind: Völlig unnötige Diagnostik wird bezahlt, aber Physiotherapeuten sollen schön weiter im 20-Minunten-Takt für 20€ arbeiten! Aber gut, ich will nicht vom Thema abschweifen. Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel wird mit der sogenannten Dix-Hallpike-Lagerungsprobe diagnostiziert. Die Untersuchung ist sehr einfach, kostet keinen Cent und dauert maximal 1-2 Minuten: Man dreht den Kopf zur Seite und legt sich auf den Rücken, wenn Sie einen BPLS haben, dann ist die Lagerungsprobe positiv und sie haben akuten Schwindel mit einem Nystagmus:
Im Video oben wird ein positiver Befund bei der Lagerungsprobe für den hinteren Bogengang gezeigt. Bei der Patientin "springen" die Augen nach oben (zur Stirn) und drehen sich nach rechts (links vom Betrachter aus, rechts vom Patienten aus). Demnach ist bei der Patientin der rechte, hintere Bogengang betroffen. Der Nystagmus (die Augenbewegung im Video) 'zeigt' dem Untersucher welche Seite und welcher Bogengang betroffen sind, jedoch erfordert das Erkennen des Nystagmuses viel Erfahrung. In der Zeitlupe kann man das Hochschlagen und Drehen erkennen, jedoch hat man im echten Leben nicht die Chance eine Zeitlupe abzuspielen, sondern muss den Nystagmus sofort richtig interpretieren! Wenn eine andere Seite oder ein anderer Bogengang betroffen wäre, wäre auch der Nystagmus anders!
Hier finden Sie eine Playlist mit positiven Befunden: Nystagmus bei Lagerungsschwindel (BPLS) - YouTube Wenn kein Nystagmus auftritt, dann haben Sie auch keinen (oder nicht mehr) benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel!
Da beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel das rechte oder das linke Vestibularorgan betroffen sein kann und dann wiederum im betroffenen Vestibularorgan der hintere, der seitliche oder der vordere Bogengang betroffen sein kann, ist eine Diagnostik und Behandlung durch einen Experten unbedingt nötig.
Leider haben HNO-Ärzte nicht viel Zeit für Patienten und so werden immer Handouts zur Selbstbehandlung mitgegeben. Ich finde es äußerst verantwortungslos, ängstlichen und stark verunsicherten Patienten eine Selbstbehandlung zuzumuten! Dann gibt es leider auch viele 'Ahnungslose' (Ärzte, Therapeuten und Betroffene), die sich Videos anschauen und danach behandeln, ohne zu wissen, welches Ohr und welcher Bogengang betroffen ist. Dadurch kann es vorkommen, dass mehrere Bogengänge involviert werden, wodurch letztendlich die Behandlung unnötig erschwert wird.
Außerdem ist es so, dass wenn der Lagerungsschwindel richtig behandelt wird, er in der Regel nach 2-3 Manövern weg ist (Reinink et al., 2014)! In der Übersichtsarbeit von Reinink et al. (2014) wird eine Studie erwähnt, in der die Wirkung von mehreren Manövern in einer einzigen Sitzung untersucht wurde, mit dem Ergebnis, dass die Erfolgsquote nach einem Manöver bei 84 % und nach zwei Manövern auf 90 % und drei Manövern auf 92 % stieg! Wenn Sie also das Manöver durchführen und sich nichts bessert, dann führen Sie sehr wahrscheinlich das Manöver für die falsche Seite oder den falschen Bogengang durch!
Das Traurige ist wirklich, dass anstatt die Ärzte die Therapie (die in der Regel nur 3 Wiederholungen erfordert und maximal 30 Minuten dauert) anbieten, den Patienten - wie schon erwähnt - Handouts zur Selbstbehandlung mitgeben. Ein Drittel der Patienten traut sich gar nicht sich selbst zu behandeln (aus Angst), ein Drittel behandelt sich falsch ("Ich mache das Manöver seit 4 Wochen ohne Erfolg, warum hat es bei Ihnen nach einer Wiederholung geklappt?") und ja, bei einem Drittel klappt die Selbstbehandlung wahrscheinlich. Da ich eine Selbstbehandlung nicht befürworte, werde ich hier nicht näher auf die Behandlung eingehen und empfehle Ihnen bei der 'richtigen' BPLS-Diagnose einen Termin bei einem zertifizierten IVRT-Therapeuten zu vereinbaren: IVRT Therapeuten
Hier erkläre ich auch, was auf der Verordnung stehen muss, damit die Krankenkassen die Therapiekosten übernehmen: Ärztliche Verordnung und Kassenerstattung
Da die meisten Kollegen/innen (aufgrund von Fachkräftemangel) eine sehr lange Warteliste haben: Erklären Sie unseren Therapeuten, dass Sie einen Lagerungsschwindel haben und es ein Notfall ist. Wenn Sie die Person nicht direkt sprechen können, soll die Rezeption dem genannten Therapeuten / der gennannten Therapeutin dies als Nachricht hinterlassen! Erwähnen Sie, dass das IVRT die Praxis vermittelt hat und sie nur eine Sitzung benötigen. Dann bekommen Sie hoffentlich schnell einen Termin!
Falls die Kollegen nicht zuvorkommend sind, schicken sie mir ein Video ihres Nystagmuses an meine Emailadresse und ich versuche per "Teletherapie" zu helfen.
(A) Eine Empfehlung, mit der ich ein großes Problem habe, lautet, dass die Patienten die Manöver zu Hause durchführen sollen. Und zwar dreimal am Morgen, dreimal am Nachmittag und dreimal am Abend, in der Regel drei Tage lang (Strupp et al., 2013). Wenn sich man sich die Zeit nimmt, reicht in 90 % der Fälle eine einzige Sitzung aus, um eine Remission der BPLS zu erreichen, wie es in der oben genannten Studie angegeben ist (Reinink et al., 2014). Wenn Ärzte keine Zeit haben, sollten sie keine Handzettel zur Selbstbehandlung verteilen, sondern eine Verordnung für vestibuläre Rehabilitation aushändigen!
(B) Damit kommen wir zum nächsten Thema: Selbstbehandlung. In beiden internationalen Leitlinien für BPLS heißt es, dass es keine ausreichende Evidenz gibt, um eine Selbstbehandlung mit dem Epley- oder Semont-Manöver für BPLS zu empfehlen oder abzulehnen (Bhattacharyya et al., 2008; Fife et al., 2008). Woodhouse (2015) empfiehlt die Selbstbehandlung aus mehreren Gründen nicht: Falsche Diagnose, falsches Manöver und keine vorausgehende neurologische Untersuchung. Der einzige Grund, warum ich die Selbstbehandlung empfehle, ist für die "10 %" der Patienten mit BPLS, bei denen eine einzige Sitzung nicht ausreichte, um eine Remission zu erreichen, und der nächstmögliche Termin erst nach dem Wochenende möglich war. Andere Patienten, bei denen ich ausnahmsweise eine Selbstbehandlung empfahl, waren Patienten, die ländlich lebten, in der es weit und breit keine spezialisierten Therapeuten in der Nähe gab.
Von diesen beiden Ausnahmen abgesehen, empfehle oder befürworte ich keine Selbstbehandlung. Warum nicht? Ich möchte meinen Standpunkt mit diesem Video verdeutlichen (schalten Sie den Ton ein, aber stellen Sie die Lautstärke nicht zu hoch ein):
Die arme Frau leidet sehr, nicht wahr? Ist sie eine Ausnahme? Leider nicht, wir sehen viele Patienten wie sie. Was halten Sie nun von der Selbstbehandlung? Glauben Sie, dass diese Person sich selbst behandeln wird? Glauben Sie, dass diese Person das Manöver korrekt ausführen wird? Nein! Warum arbeiten wir im Gesundheitswesen? Ich hoffe, weil wir Menschen helfen wollen, oder? Also, Menschen mit BPLS sind sehr ängstlich und mit der Selbstbehandlung völlig überfordert. Wenn es Menschen gibt, die professionelle medizinische Hilfe brauchen, dann gehören Menschen mit BPLS zu den ersten, die diese brauchen. Tatsächlich zeigt eine Studie, dass obwohl der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel bei 86 % der Betroffenen zu einer ärztlichen Konsultation, einer Unterbrechung der täglichen Aktivitäten oder einer Krankschreibung führte, nur 8 % der Betroffenen eine wirksame Behandlung erhielten (von Brevern et al., 2007). In Deutschland ist es gängige Praxis, einem Patienten mit BPLS eine Anleitung zur Selbstbehandlung zu geben. Das ist wirklich traurig und muss geändert werden! Bitte verbreiten Sie daher diese Botschaft: "Geben Sie Menschen mit BPLS keine Handouts zur Selbstbehandlung, sondern überweisen Sie sie an zertifizierte Vestibular-Therapeuten, denn ängstliche, leidende Patienten brauchen professionelle medizinische Hilfe!".
Das sind also zwei Traditionen, die mir sehr am Herzen liegen, und sich hoffentlich langfristig ändern. Aber welche anderen Annahmen sind nicht mehr zeitgemäß?
(C) Bildgebende Verfahren und Untersuchung des Gleichgewichtsorgans
Für die Diagnose des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels sind bildgebende Verfahren und eine Untersuchung des Gleichgewichtsorgans nicht nötig (Bhattacharyya et al., 2008), die Dix-Hallpike-Lagerungsprobe reicht alleine aus.
Da BPLS sehr häufig auftritt und die Diagnose und Behandlung sehr einfach ist, würde man erwarten, dass bei vielen Patienten der BPLS schnell erkannt und behandelt wird. Nein, leider nicht. Orthopäden vermuten bei BPLS-Symptomen fast immer einen "zervikogenen Schwindel", weil der Patient bei "Kopfbewegungen" Schwindel hat und verordnen prinzipiell ein MRT von der Halswirbelsäule an. Dann gibt es leider auch HNO-Ärzte, die die kalorische Prüfung durchführen, der sehr viel Schwindel auslöst, obwohl bei klarer Anamnese dies völlig überflüssig ist. Es spielt aber wahrscheinlich eine Rolle, dass die kalorische Prüfung besser vergütet wird, als die 'einfache' Lagerungsprobe. Zu guter Letzt empfehlen manchmal Neurologen ein MRT vom Kopf, obwohl auch dies bei klarer Anamnese überflüssig ist.
(D) Medikamentöse Therapie
Es ist (hoffentlich) allgemein bekannt, dass es keine Belege für eine Empfehlung von Medikamenten in der Routinebehandlung von BPLS gibt (Bhattacharyya et al., 2008; Fife et al., 2008). Sedierende vestibuläre Suppressiva ("Medikamente gegen Schwindel") werden nur für kurze Zeit und nur dann empfohlen, wenn der Patient unter starker Übelkeit leidet (Strupp et al., 2020).
(E) Brandt-Daroff-Übungen
In vielen (sehr alten) Quellen werden Brandt-Daroff-Übungen für die Behandlung von BPLS empfohlen. Beim Vergleich der Brandt-Daroff-Übungen mit dem Epley-Manöver hatten die mit Brandt-Daroff-Übungen behandelten Patienten 7 Tage nach der Behandlung ein schlechteres Ergebnis (25 % Remission zu 80,5 % Remission) (Herdman & Hoder, 2014). Eine andere Studie verglich das Epley-Manöver mit dem Semont-Manöver und den Brandt-Daroff-Übungen. In dieser Studie war das Abklingen der Symptome bei denjenigen, die entweder mit dem Epley- oder dem Semont-Manöver behandelt wurden, nach einer Woche gleich (74 % vs. 71 %), bei den Brandt-Daroff-Übungen jedoch nur 24 % (Bhattacharyya et al., 2008).
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