Indikationen für eine Vestibuläre Rehabilitation


Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

Dies ist wohl die bekannteste Form von Schwindel. Lagerungsschwindel ist Schwindel, der nur bei ,einer bestimmten' Kopfposition (z.B. "Kopf in den Nacken legen") oder bei Lageänderungen (z.B. beim Hinlegen) auftritt. Mit nur einer Behandlung kann der Schwindel durch bestimmte Manöver mit sofortiger Wirkung behoben werden! Da beim Lagerungsschwindel das rechte oder das linke Vestibularorgan betroffen sein kann und dann wiederum im betroffenen Vestibularorgan der hintere, der seitliche oder der vordere Bogengang betroffen sein kann, ist eine Diagnostik und Behandlung durch einen Experten unbedingt nötig. Ausführliche Informationen zum benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel finden Sie auf der Unterseite "Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)".

Im Video wird ein positiver Befund bei der Lagerungsprobe für den hinteren Bogengang gezeigt.

 

Altersbedingter Schwindel

Das Gleichgewichtsorgan ist wie alle anderen Organe vom Alterungsprozess betroffen und zeigt daher vor allem im hohen Alter seine Schwächen. Ein erhöhtes Sturzrisiko ist die Folge. Dieses Risiko kann durch die vestibuläre Rehabilitation, welche sehr viele Gleichgewichtsübungen enthält, deutlich minimiert werden.

 

Posttraumatischer Schwindel

Nach Unfällen mit Kopfverletzungen, insbesondere bei Unfällen mit Gehirnerschütterung oder Schleudertraumata, kann auch das Gleichgewichtsorgan erschüttert oder verletzt werden. Nach Gehirnerschütterungen oder Schleudertraumata kommen vestibuläre Symptome wie Schwindel und Gleichgewichtsstörungen häufig vor, aber auch diese können durch die vestibuläre Rehabilitation effektiv behandelt werden! Ich habe in der Vergangenheit immer mehr Sportler und Patienten mit Arbeitsunfällen behandelt. Leider werden vestibulären Symptomen nach Unfällen wenig Aufmerksamkeit geschenkt!

 

Akustikusneurinom

Dieser Tumor liegt sehr ungelegen und drückt auf den Nervus vestibulocochlearis, der als ,Gleichgewichts- und Hörnerv' das Gleichgewichtsorgan versorgt. Dies führt dazu, dass das Vestibularorgan nicht mehr adäquat seine Funktion erfüllen kann und daher unbedingt trainiert werden muss!

 

Neuritis Vestibularis oder Neuropathia vestibularis

Hierbei handelt es sich um eine Entzündung des Nervus vestibularis. Der Nervus vestibularis innerviert das Gleichgewichtsorgan. Folglich führt eine Entzündung dieses Nervs zu ernsthaften vestibulären Störungen. Bei dieser Erkrankung ist eine unmittelbare vestibuläre Rehabilitation der Goldstandard und unbedingt nötig, um die Chance auf bleibende Schäden maximal zu senken!

 

©Firat Kesgin - Physiotherapie bei Schwindel
©Firat Kesgin - Physiotherapie bei Schwindel

Vestibuläre Hypofunktion oder auch "Vestibulopathie" genannt

Eine Vestibuläre Hypofunktion oder Vestibulopathie ensteht als Folge der oben beschriebenen Erkrankungen (altersbedingt, Akustikusneurinom oder Neuritis / Neuropathia vestibularis). Ein schwaches Gleichgewichtsorgan kann aber auch angeboren sein oder idiopathisch (ohne klare Ursache) entstehen.

 

Weitere Ursachen für eine vestibuläre Hypofunktion sind ototoxische (innenohrschädigende) Medikamente (Medikamente zur Chemotherapie oder Aminoglykosid-Antibiotika). Toxische Antibiotika enden in der Regel mit -micin (z.B. Gentamicin). Diese Medikamente werden bei schweren Infektionen (z.B. bei einer Herzinnenhautentzündung / Endokarditis) oder bei Pseudomonas-Infektionen (z.B. bei Mukoviszidose) eingesetzt. 

 

Morbus Menière (s. unten), ein Trauma (z.B. Felsenbeinfraktur), eine Meningitis oder eine Polyneuropathie sind weitere mögliche Ursachen einer vestibulären Hypofunktion.

 

Die Symptome der vestibulären Unterfunktion werden folgendermaßen zusammengefasst:

  • unscharfes Sehen beim Gehen und bei schnellen Kopf-/Körperbewegungen
  • Gangunsicherheit bzw. Schwankschwindel, der vor allem im Dunkeln, auf unebenem Untergrund oder bei schnellen Kopfbewegungen verstärkt werden

Leider kommt es häufig vor, dass HNO-Ärzte Patienten mit einer Vestibulopathie übersehen. Zusätzlich zu der kalorischen Prüfung ('Spülung des Gehörgangs') sollten Fachärzte den Video-Kopf-Impuls-Test und den VEMP Test durchführen.  Ausführliche Informationen zur vestibulären Unterfunktion bzw. Vestibulopathie finden Sie auf der Unterseite "Vestibuläre Hypofunktion / Vestibulopathie".

 

Funktioneller Schwindel (Synonyme: Somatoformer Schwindel, psychosomatischer Schwindel, phobischer Schwankschwindel und persistierender postural-perzeptiver Schwindel [PPPD])

Wie Sie an den Synonymen erkennen können, spielt bei dieser Schwindelform die Psyche eine große Rolle. Menschen mit funktionellem Schwindel haben eine 'traumatisierende' "Schwindel"-Erfahrung erlebt (z.B. eine vestibuläre Störung, eine Gehirnerschütterung, ein Herzinfarkt, eine Panikattacke, etc.), wonach eine Adaptation des Gehirns aufgrund erhöhter Angstzustände nicht stattfinden konnte. Auffällig ist, dass die Menschen sich intensiv mit dem Schwindel befassen und sich tatsächlich 'zu sehr' auf den Schwindel konzentrieren. Eine sehr komplexes Phänomen, welches kaum mit ein paar Zeilen zu erklären ist, jedoch mit dem Lagerungsschwindel, der vestibulären Hypofunktion und der vestibulären Migräne, statistisch die häufigste Erkrankung darstellt. Ausführliche Informationen zum funktionellem Schwindel finden Sie auf der Unterseite "Psychogener Schwindel - Was ist dran?".

 

Vestibuläre Migräne

Wie es der Name schon sagt, ist diese vestibuläre Erkrankung oft mit migräneartigen Kopfschmerzen verbunden. Andere Experten reden auch von einer "Schwindel"-Migräne, sprich, anstelle von regelmäßigen Kopfschmerzen (die durch bestimmte Trigger ausgelöst werden) treten Schwindelepisoden auf (ähnlich wie Migräne getriggert durch Krankheit, Stress, Anstrengung, Schlafmangel oder bestimmte Lebensmittel). Typisch für die "vestibuläre" Migräne ist auch, dass vestibuläre Reize (z.B. schnelle Kopfbewegungen, Autofahrten oder sich schnell bewegende Objekte) Trigger für die Migräne oder Schwindelepisode sein können.

 

Morbus Menière

Bei dieser Erkrankung ist die Homöostase der zwei verschiedenen Innenohrflüssigkeiten gestört. Die Schwindelattacken bei Menière sind nicht durch die Therapie beeinflussbar, jedoch kann der Schwankschwindel und die Gleichgewichtsstörungen, die zwischen den Attacken auftreten, sehr gut durch die vestibuläre Rehabilitation behandelt werden. Zudem können Vestibular-Therapeuten mit Ihrem Wissen und Kontakten den Betroffenen eine kompetente Betreuung bieten.

 

Cochlea Implantat

Ähnlich einer Gehirnerschütterung, wird auch bei einem Cochlea Implantat dem Schwindel und den Gleichgewichtsstörungen, die nach eine Operation auftreten können, leider viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt! Laut Studien kommen Schwindel und Gleichgewichtsstörungen nach einem Cochlea Implantat doch recht häufig vor und dies ist auch zu erwarten, da es sich um einen Eingriff am Innenohr handelt, wo auch das Gleichgewichtsorgan liegt. Auch hier kann die Vestibuläre Rehabilitation eine effektive Therapie sein!

 

Tinnitus

Tinnitus ist keine Erkrankung, sondern ein Symptom. Da die Hörschnecke mit dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr liegt und von dem gleichen Nerv versorgt wird, können einige vestibuläre Erkrankungen auch Tinnitus verursachen. Bei Morbus Menière und bei einem Akustikusneurinom ist Tinnitus typisch, aber auch gleichzeitig nicht behandelbar. Auf der Unterseite „Häufig gestellte Fragen zu Schwindel“ finden Sie einen ausführlichen Text über Tinnitus. Zudem habe ich auch über Tinnitus einen Artikel geschrieben, der in der pt_Zeitschrift veröffentlicht wurde. Die vestibuläre Rehabilitation hat keinen Effekt auf Tinnitus.

 

 

Dies sind nur einige wenige und die bekanntesten Erkrankungen. Die wohl zuverlässigste und stets aktuellste Internetseite der amerikanischen Vereinigung für vestibuläre Erkrankungen (Vestibular Disorders Association) beschreibt 23 verschiedene vestibuläre Erkrankungen.

 

Für Leser, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, empfehle ich den Artikel ,,Schwindelsyndrome - Diagnose, neue Klassifikation und Therapievon Prof. Dr. Michael Strupp, der für das Deutsche Ärzteblatt geschrieben wurde. Prof. Strupp ist wohl der wichtigste deutsche Experte auf diesem Gebiet und auch international hoch anerkannt.

 

 

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